Seit Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich in der jüdischen Bevölkerung ein kulturelles Selbstbewusstsein jenseits von Religion und Assimilation. Zu dieser jüdischen Renaissance zählten auch Initiativen, die die jüdische Tradition in der Moderne wiederentdeckten und als Ausdruck ihrer eigenen Identität begriffen. Die Soncino-Gesellschaft, 1924 gegründet um die Impulse der deutschen Buchkunstbewegung auf die jüdische Buchkultur zu übertragen, integrierte Orthodoxe, Liberale und Zionisten. Mit 650 Mitgliedern, darunter Leo Baeck und Max Brod im Ehrenausschuss, gehörte sie zu den großen bibliophilen Vereinen der Weimarer Republik. Bis 1937 erschienen von der hebräischen Bibel bis zu zeitgenössischer Literatur über hundert Publikationen. 2016 wurde die Sammlung im Jüdischen Museum Berlin digitalisiert und ist online abrufbar.
In seinem Buch über die Soncino-Gesellschaft betrachtet Bernhard Jensen ihre Veröffentlichungen als Kanon einer Epoche jüdischen Lebens in Deutschland, die bald darauf abrupt beendet wurde. Nach seinem Vortrag geht es im Gespräch mit Andreas Brämer neben der Bedeutung dieser Vereinigung innerhalb der damaligen kulturzionistischen Bestrebungen auch um ihr mögliches Erbe: die Frage, in welchen Medien und mit welchen Vorbildern sich jüdische Identität heute bildet.
Bernhard Jensen, geb. 1968, ist promovierter Philosoph und arbeitet als Bibliothekar im Jüdischen Museum Berlin.
Andreas Brämer, promovierter Judaist und habilitierter Historiker, ist stellvertretender Leiter des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden.
Gastgeberin ist Jasmin Sohnemann.
Kooperationsveranstaltung mit dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden.