Meine Kinder, Daniel und Liza, sind in Oslo aufgewachsen, mit einem holländisch-jüdischen Vater und mir, einer norwegisch-jüdischen Mutter. Wir wollten ein traditionell jüdisches Heim für unsere Familie und unsere Kinder jüdisch erziehen. Und wir wollten der Erfahrung, jüdisch zu sein, unseren eigenen, persönlichen Geschmack verleihen, so wie es alle Eltern wollen. Unsere Art und Weise, Chanukka zu feiern, mag dies illustrieren.
Hier in Norwegen gibt es eine sehr aufwendige Weihnachtstradition, eine Herausforderung für jede jüdische Familie. Und dazu kam noch, dass mein holländisch-jüdischer Mann in seiner Kindheit jedes Jahr Anfang Dezember Nikolaus gefeiert hat.
Jedes Jahr fielen die Chanukka-Tage aufs neue auf einen dieser Feiertage, und wir mussten uns dazwischen einen Weg suchen, ohne unsere eigene Tradition zu verraten. Verliebt in das Jüdische Fest wollten wir, dass es auch für unsere Kinder ein großes Ereignis des Jahres ist, mit seiner Geschichte und den Kerzen, mit dem Besuch der Freunde, dem traditionellen Essen, den gemeinsamen Spielen und den Geschenken, Abend für Abend, acht Tage lang.
Nein, wir wollten nicht Weihnachten oder Nikolaus feiern, sondern Chanukka einfach unseren ganz persönlichen touch verleihen.
Ich habe Marc Chagalls Kunst immer sehr gemocht. Und ich mochte es auch immer sehr, in Kunstbüchern und Magazinen zu schauen. Als ich wieder einmal in diesen Büchern blätterte, fand ich „ihn“, ganz überraschend, unter all den Figuren von Chagall. „Er“ war auf einem Gemälde, das hieß „Über Vitebsk“ aus dem Jahr 1914. Es zeigt einen alten Juden, der über eine Stadt fliegt, mit einem großen Bündel auf dem Rücken und einem Stock in der Hand. Plötzlich erkannte ich, dass diese Figur genau das war, was ich im Sinn hatte, und er erwies sich als unser ganz besonderer Verbündeter – der alte Jude, der um die ganze Welt eilte, um den jüdischen Kindern ihre Geschenke zu Channuka zu bringen.
Er kam zu uns, in unsere private Chanukka Tradition, als Chanuklaas und wir studierten die Kunstbücher gemeinsam mit unseren Kindern. Wir erzählten ihnen, dass Chanuklaas um die ganze Welt flog, in jeder Nacht von Channuka, und Geschenke vor den Türen aller jüdischer Kinder hinterließ. Niemand hat ihn jemals gesehen, denn er ist so schnell. Nur Chagall ist es gelungen, ihn zu porträtieren. Die Kinder begannen, Chagall genauso so zu lieben, wie ich.
Wenn der Chanukka Abend nahte, alle acht Abende, dann packte ich die Geschenk in eine Bettdecke, die Chanuklaas Bündel glich, band sie zusammen und platzierte sie heimlich draußen vor der Tür in einem Winkel, gut versteckt für den Fall, dass jemand hinaus schaute. Dann setzten wir uns zusammen, um die Kerzen zu entzünden, die Segenssprüche zu sprechen, Lieder zu singen und zu tanzen. Oft hatten wir Freunde zu Besuch, und mitten im Lärm und Gelächter schlich ich mich hinaus, setzte das Bündel genau vor die Türe, läutete die Türglocke und schlich mich schnell wieder hinein. Ich achtete darauf, das Timing jedes Mal ein wenig zu verändern, so dass keine Routine entstand. Wenn es an der Türe läutete, dann rannten die Kinder herbei und öffneten und da war es wieder! Chanuklaas hatte sein Bündel abgelegt. Sie schleppten es hinein, immer ganz aufgeregt, mit einem Gefühl der Zugehörigkeit zu einer weltumspannenden jüdischen Familie, die auch dieses Jahr von Chanuklaas, der von Haus zu Haus flog, wieder einmal daran erinnert worden war.
Wie ich schon sagte, wir hatten oft Freunde mit ihren Kindern bei uns, die kamen um die Kerzen zu entzünden und zu feiern. Die Eltern begannen bald, ihre Geschenke am Eingang heimlich in meine Obhut zu geben, damit sie in das jährliche Ritual eingeschlossen würden. So gab es bald keine Kinder mehr in Oslo, jedenfalls im Alter meiner Kinder, die Chanuklaas nicht kannten.
Wir halten diese Tradition noch heute, mit einem lachenden Augenzwinkern, und wir schauen einer neuen Generation von begeisterten Kindern entgegen, die das Werk von Marc Chagall lieben lernen.
© Berit Reisel aus dem Englischen übersetzt von Hanno Loewy
Entnommen der Anthologie „Solls der Chanukkabaum heißen“ – Chanukka, Weihnukka, Weihnachten 2005/2006, gesammelt von Hanno Loewy
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Das Arsenal
Berit Reisel ist 1945 in einem schwedischen Flüchtlingslager in Norrköping geboren, nachdem ihre Eltern während des Holocausts aus Norwegen geflüchtet sind. Die Familie ist 1947 nach Norwegen zurückgekehrt. Berit Reisel arbeitet in Oslo als klinische Psychologin, war Mitglied des Skarpnes-Ausschusses und wurde später Leiterin der norwegischen Stiftung „Zentrum für Holocaust- und Minderheitenstudien“.