In dem gerade erschienen Memoir „Marktgeflüster“ erzählt Peter Stephan Jungk von seiner Heimatsehnsucht, die einen Anziehungsort in Paris im zwölften Arrondissement nahe der Bastille gefunden hat – auf dem Marché d'Aligre, einem quirligen Marktsinnlicher Genüsse und multikultureller Begegnungen. An den Marktständen, dicht an dicht um die Ende des 18. Jahrhunderts errichteten Halle, wird er wie ein verlorener Sohn: „Enfin!“ bei seiner Rückkehr von Hamza, Min, Habib und den anderen Markthändlerinnen begrüßt – Heimatlosen, aus Algerien, Spanien, China oder Tunesien, die trotz ihrer so fremden Lebensvorstellungen und Kulturen miteinander Französisch, vor allem Arabisch, Hebräisch, Spanisch, Russisch und Englisch sprechen – sie sind vertraut wie eine Familie trotz Feindseligkeit und Konkurrenz. Ihr Aufgehobensein ist aber auch jederzeit erschütterbar z.B. durch Anschläge. Ihre Geschichten, Hoffnungen, Sehnsüchte und Enttäuschungen rufen in dem Autor Erinnerungen an die eigene Unbehaustheit wach, die er dachte, überwunden zu haben.
Der in Santa Monica geborene Sohn des Zukunftsforschers Robert Jungk ist mit seinem Eltern, die aus Deutschland vor den Nazis fliehen mussten, viel in der Welt herumgezogen. Die Rückblenden in seiner autofiktionalen Erzählung führen uns an die vielfältigen Orteseiner Kindheit und tauchen in die Momente entscheidenden Aufbruchs als Erwachsener. Das früh erfahrene Nomadenleben ist die Triebfeder seiner Unruhe und Suche nach innerer und äußerer Behaustheit. Als Wanderer zwischen den Welten träumt er davon Architekt zu werden, studiert Film in Hollywood und besucht eine Jeschiwa in Jerusalem, bis er sich in Paris Ende der Achtziger niederlässt und sein „Zimmer in der Welt“ findet. In den Fußspuren einer langen Tradition Pariser Spaziergänger schweift Peter Stephan Jungk über den Markt, seine verborgene Heimat in der Stadt, die den „Typus des Flaneurs“ nach Walter Benjamin hervorgebracht hat und auch ihm Zufluchtsort war. Werden Zauber von Märkten liebt, wird ihn in der weltumspannenden Magie des Marché d ́Áligre, einem Brennglas moderner Diversität, in Jungks Memoir finden. Peter Stephan Jungk, geboren 1952 in Santa Monica, ist Autor von Romanen, u.a. „Der König von Amerika“, „Die Reise über den Hudson“. Er verfasst Romanbiografien („Franz Werfel“), schreibt Drehbücher und ist Übersetzer von Theaterstücken sowie Regisseur von Dokumentarfilmen. Zuletzt erschien bei S. Fischer die Lebensgeschichte seiner Großtante, einer bekannten Fotografin und KGB-Agentin in der Zeit des Kalten Krieges: »Die Dunkelkammernder Edith Tudor-Hart«. Nach unzähligen Umzügen in Amerika und Europa, seit seinem fünften Lebensjahr, lebt er seit 1988 zusammen mit seiner Frau, der Fotografin Lilian Birnbaum, in dem für ihn frühen Sehnsuchtsort Paris.
Gastgeberin des Abends ist Marion Kollbach.