Noch vor dem 1. Weltkrieg galt Czernowitz, die Hauptstadt des österreichischen Kronlandes der Bukowina, als ein osteuropäisches jüdisches Paradies. Die meisten jüdischen Intellektuellen waren deutsch akkulturiert und bildeten ein reges geistiges Potenzial deutscher Kultur. Auch nach der Übernahme durch Rumänien blieb Czernowitz eine multilinguale Stadt, in der die meisten Juden Deutsch sprachen. In dieser mehrsprachigen Kulturtradition etablierte sich eine Gruppe bedeutender deutschsprachiger jüdischer Literaten, zu denen unter anderem Alfred Margul-Sperber und Rose Ausländer gehörten. Mit ihnen wurde eine lyrische Tradition begründet, aus der auch Dichterinnen und Dichter einer jüngeren Generation hervorgingen, darunter Selma Meerbaum-Eisinger, Paul Celan, Alfred Gong, Immanuel Weißglas oder Manfred Winkler. Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik durch die deutsche Okkupation 1944 sollte dieser Entwicklung ein jähes Ende setzen. Eine Zäsur, die das poetische Werk derjenigen, die überlebten fortan bestimmte, welches sich so auf einzigartige Weise der deutschen Kultur eingeschrieben hat.
In seinem Vortrag wird Petro Rychlo den Spuren und Werken dieser deutsch-jüdischen Dichterinnen und Dichter folgen, die in Czernowitz selbst Opfer von Verfolgung und Vernichtung wurden. Ein Schicksal, von dem die ukrainische Stadt heutzutage wieder mehr denn je bedroht ist.
Petro Rychlo ist Professor für fremdsprachige Literatur und Literaturtheorie an der Nationalen Jurij Fedkowicz-Universität Czernowitz, Ukraine. Er ist Literaturwissenschaftler, Essayist und literarischer Übersetzer, Autor von wissenschaftlichen Monographien, Herausgeber von literarischen Anthologien und zahlreichen Übertragungen ins Ukrainische. Zuletzt erschien in seiner Übersetzung die erste deutsch-ukrainische Gesamtausgabe von Paul Celans Gedichten in zehn Bänden.
Gastgeberin ist Friederike Heimann.
In Kooperation mit dem Literaturzentrum Hamburg.
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